07.06.2023

Was ist im Tourismus an Nachhaltigkeit drin?

Stellen Sie sich die zukünftigen Tourist:innen in Mecklenburg-Vorpommern vor: Sie kommen vielleicht vom Starnberger See oder aus dem Prenzlauer Berg – in beiden Regionen wohnen die geborenen Nachhaltigkeitsexpert:innen. Die erste Reaktion ist (wenn Trockenzeiten nicht zu lang ausfallen): „Unglaublich! Diese Natur, diese Wildnis habe ich nicht erwartet.“ Wenn dieses erlebte Gefühl länger anhält, fragt man wahrscheinlich nach: Kann ich mich an dem Schutz dieser besonderen Landschaft beteiligen, die aus Küste, Wäldern, Seen und manchmal sichtbaren Mooren besteht? Ja, kann dann jede:r von uns Touristiker:innen stolz sagen: Nehmen Sie die Waldaktie oder die Moorfuture oder den Genussschein für Streuobstwiesen und Sie sind auf der nachhaltigen Seite. (Und wir Touristiker:innen auch – oder?)

Höchstwahrscheinlich kommt das dicke Ende erst noch. Wir werden von den Gästen gefragt werden: „Wohne ich in einem (alten) Gebäude aus regional-natürlichen Baustoffen (Lehmfachwerk, Ziegel, Reetdach)? Ist die Raumluft gesund? Ist es warm oder kühl, wie im Apartment in Berlin Mitte? Ich setze voraus, Sie erzeugen Strom und Wärme aus regenerativer Energie (die aus der Region kommt – am besten selbstgemacht); Ihre Innenausstattung ist vor allem aus Holz, die Möbel sind langlebig und robust; überhaupt ist doch fast alles aus Naturstoffen!? Und wie steht es mit dem Umfeld? Sie haben doch einen regenerativen Garten mit Artenvielfalt und terra preta (fruchtbarer Boden)? Doch nicht etwa mit Steinen? Ihr Wasser wird recycelt und der Biomüll zu Kompost – oder? Also haben Sie Kreislaufwirtschaft? Ich nehme an, das Essen ist natürlich vegan – gut, auch vegetarisch, aber aus eigenem Garten. Manchmal mit regionalem Hirschfleisch – überhaupt das Regionale. Das schließt Keramik und Papiertüte ein – Plastik aus; Erdbeere im Juni ein – im November aus. Dann interessiert mich: sind Sie eine gemeinwohlorientierte Unternehmung mit Repair, also mit Reparatur von Geräten und Gegenständen statt Entsorgung und Neukauf, lokaler Einbindung, Mitarbeiter:innenbeteiligung? Kann ich mit Ihnen großartige Gespräche über Klimawandel,

Moorvernässung – und über Lebenskunst führen? Welche Besuchsorte können Sie uns empfehlen? Barrierefrei…freundlich …mehrsprachig? Und bitte: welche Angebote haben Sie: naturnahe Spaziergänge mit und ohne Führung und mit Bildung und Erlebnissen? Können auch Fahrradtouren sein. Nachhaltigkeits-Lernreisen? Rein in die Hotspots von Ökosystemen und besonderen Transformationsakteuren…

Auf diese zukünftigen Tourist:innen müssen Sie nicht warten. Sie stehen schon an der Schwelle. Über 70 Prozent von befragten Besucher:innen haben diese oder ähnliche Erwartungen. Sicher sehr unterschiedlich in ihrer Ausprägung. Aber egal. Offensichtlich ist das Thema da! Und Sie können sich entscheiden, aus welchem Grund Sie sich der Nachhaltigkeit widmen:

(1) Sie richten sich nach dem Bedarf Ihrer Gäste und bauen die Nachhaltigkeitsaspekte als Teil Ihrer Servicequalität ein.

(2) Sie sind Kaufmann oder Kauffrau genug, um die Klimafolgen oder die grundsätzliche Ressourcenknappheit zu begreifen und sich strategisch auf kleinere Klima- und ökologische Fußabdrücke einzustellen.

(3) Sie sind Krämer:in und versuchen es mit Greenwashing (umweltbewusstes Image ohne Grundlage) oder versuchen das Thema zu ignorieren. Sicher ist das, was Sie machen, von Ihrer Begründung abhängig. Dennoch zeichnen sich mehrere Maßnahmenfelder ab:

  1. Sie als Dienstleister machen sich auf den Weg zu einem Gasthaus, das klimaneutral und arm an Ressourcenverbrauch ist.
  2. Sie beziehen Ihre Waren vor allem aus der Region, was auch die lokale Wertschöpfung stärkt, und achten bei der Ernährung neben der Qualität der eingesetzten Nahrungsmittel auf die wachsende Vielfalt von Ernährungskulturen.
  3. Sie und Ihre Mitarbeitenden entwickeln ein authentisches Selbstverständnis zur Nachhaltigkeit, welches über den Service auf die Gäste ausstrahlt.
  4. Sie entwickeln Erholungs-, Erlebnis-, Bildungsangebote, in denen die lokalen und regionalen Besonderheiten nachhaltiger Transformationen Platz finden, z.B. die Frage der Moorvernässung, der Walderneuerung, des Küstenschutzes etc..

Das sind dicke Bretter, die wir da bohren müssen. Und oft werden es Maßschneiderungen für Unternehmen sein – keine Lösungen von der Stange. Vor allem aber wie bei Punkt (4) brauchen wir stabile Kooperationen und kollektive Angebote. Ein Gast kommt nicht allein in ein Haus, in eine Gaststube, auf nur einen Leuchtturm. Wollen wir mit Nachhaltigkeit „wuchern“, wollen wir Gäste nach Feldberg, Rostock, Karnitz einladen, dann sollten wir Ihnen klugerweise sagen können, warum sie sich das antun sollten, also was das Besondere, das Einzigartige, das Zukunftsorientierte bei uns in der Region ist. Hier kann man getrost vierzehn Tage unterwegs sein und sich immer noch nicht langweilen – weil da so viele Nachhaltigkeitsneuheiten zu erleben sind. Das geht nur zusammen und mit einem gemeinsamen Leitbild.

Verfasst von:

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